Englische Schweisskrankheit

Konrad Schmid und die „Englische Schweisskrankheit“

Bei Nacht und Nebel verabschiedete sich Huldrych Zwingli am 3. September 1529 von seiner Frau Anna, Tochter Regula und den engsten Gefährten, zu denen Konrad Schmid („Der Rappen des Komturs“) aus Küsnacht zählte, Richtung Deutschland, um am Marburger Religionsgespräch teilzunehmen.

Die Abreise erfolgte im Stillen, da ein möglicher Anschlag von katholischen „Aufpassern“ und „Übelgesinnten“ auf Zwingli befürchtet wurde. Allein der Geheime Rat der Zürcher Stadtregierung sei informiert gewesen. Während der über sechswöchigen Abwesenheit von Zwingli versah dessen Predigtamt am Grossmünster Konrad Schmid, „Commentur zu Küsnacht, der von den ganzen Zürcher Bürgerschaft geachtet und geliebt wurde und Zwinglis warer und treu ergebene Freund war“. (Abb. 1)

Abb. 1: Darstellung einer Predigt im Zürcher Grossmünster von 1526 in der von Heinrich Thomann illustrierten Reformationschronik von Bullinger/Haller. Auf diesem Kanzellettner, der 1851 entfernt wurde, hatte Konrad Schmid während Zwinglis Abwesenheit gepredigt. Der Kanzlerleiter im Grossmünster wurde 1526 aus den Steinen der in den Zürcher Kirche niedergelegten Altäre errichtet. Der Kanzelkorb befand sich hierbei in der Mittelachse des zwischen Chor und Schiff angebrachten Lettners. Dem Chor wurde die neue Funktion von Bibliothek und Arbeitsplatz zugesprochen, wo Zwingli und sein Team die Zürcher Bibel übersetzte.

Dem etwas älteren Konrad Schmid hatte Zwingli das würdevolle Amt des Grossmünsterpredigers anvertraut. Er wusste, dass Schmid ein brillanter und wortgewaltiger Prediger ist, der es gewohnt war vor mehreren Tausend Zuschauern die evangelisch-reformierte Botschaft zu verkünden, wie er es 1522 an der Musegg-Prozession in Luzern als Gastprediger unter Beweis stellte. Zwinglis Freund Myconius, schrieb kurz nach dem Fest an Zwingli:

„Übrigens war, wie Du weisst, unser Konrad bei uns; er hat eine Predigt gehalten. Welch herrlicher Mann! Welch herrliche und christliche Predigt! Sie bewirkte, dass wir alles, was bisher verworren schien, jetzt geglättet sehen ... Wenn Du, liebwertester Huldrich, gehört hättest, wie Konrad sprach und wie er jenes kirchliche Haupt in Fleisch und Blut, den römischen Pontifex, niederzwang, hättest Du Dich selbst in einer so ernsthaften Sache des Lachens nicht enthalten können. All dies hat er mit einer solchen Würde, einer solchen Glaubwürdigkeit gesagt, wie es nur einer gekonnt hätte, der ganz und gar erfüllt ist von Christi Geist. Ganze Briefe gälte es zu schreiben, wenn ich des Mannes Mund und Sprache auch nur skizzieren wollte.“

Die hohe Reputation, die der Küsnachter Konrad Schmid beim Zürcher Großen Rat und der christlichen Obrigkeit Zürichs genoss, war ein weiterer Grund seiner Wahl als Zwinglis Stellvertreter. Diese kam bei der Zweiten Zürcher Disputation 1523 zum Ausdruck, als der Große Rat dem Votum Schmids folgte, die Reformation in der Zürcher Landschaft nicht, wie Zwingli wollte, abrupt, sondern transformativ durchzuführen.

Das Marburger Religionsgespräch fand vom Freitag, den 1. bis zum Montag, den 4. Oktober 1529 auf Einladung des Landgrafen Philipp I., der als der Großmütige aus dem Haus Hessen bezeichnet wurde, auf dem Marburger Schloss statt. Der Streit zwischen den Anhängern Martin Luthers und Huldrych Zwinglis führte zu immer heftigeren Anschuldigungen. Um einer möglichen Spaltung entgegenzuwirken, lud Philipp von Hessen die geistlichen Führer der Reformation nach Marburg ein, um sich in den einzelnen Glaubensanfragen zu einigen. Es war das einzige Mal, dass die führenden Reformatoren Luther und Zwingli persönlich zusammentrafen. Hauptstreitpunkt waren ihre unterschiedlichen Auffassungen bezüglich der Rolle des Abendmahls. Während Luther an der traditionellen katholischen Lehre von der leiblichen Gegenwart Christi in Brot und Wein des Abendmahls festhielt (Transsubstantiation), verstanden die Reformatoren um Zwingli und die Sakramentarier die Abendmahlsfeier als symbolische Gedächtnishandlung (Abb. 2).

Abb. 2a: Das 1867 entstandene Gemälde „Religionsgespräch zu Marburg“ von August Noack zeigt den Disput Martin Luthers mit Huldrych Zwingli im Jahr 1529 in Marburg über das Verständnis des Abendmahls. Marburger Universitätsmuseum. Zur Identifizierung der dargestellten Personen vgl. Abb. 2b

Abb. 2b: Noack, August (Zeichner & Stecher); Bruckmann, Friedrich (Verleger), Religionsgespräch im Marburger Schloss (1529), nach 1867, Federlithografie, 47,1 x 64,4, grafische Sammlung, Germanisches Nationalmuseum.

In seinem Historienbild nimmt Noack die Legende auf, dass Luther vor dem Beginn der Unterredung die Worte „hoc est Corpus menum“ , zu deutsch „Das ist mein Leib“, auf den Tisch geschrieben habe – als Gedankenstütze und „zum Zeichen, dass er bei allen Einwendungen und Angriffen an der buchstäblichen Auffassung dieser Worte unerschütterlich festhalten wolle“. Auf Drängen des Landgrafen hielten am Ende des Gesprächs die Beteiligten das Ergebnis in den sogenannten Marburger Artikeln fest. In vierzehn Punkten hatten beide Seiten Einigkeit erzielt, nicht aber im entscheidenden Punkt hinsichtlich des Abendmahls. Dennoch gelten die Marburger Artikel als einziges Bekenntnisdokument der Reformation, das von Luther und von Zwingli gemeinsam unterzeichnet wurde.

Aus Furcht vor Ansteckung an einer pestartigen Seuche, der „Englischen Schweisskrankheit“, wurde die Teilnahmezahl an der öffentlichen Disputation auf 50-60 Personen beschränkt. „Ein starkes Schwitzen und Stinken mit Rötung des Gesichts und des ganzen Körpers, und ein andauernder Durst, mit grosser Hitze und Kopfschmerzen aufgrund der Dünste und Gifte“ waren die typischen Symptome der 1485 erstmals in England auftretenden todbringenden Krankheit (Sudo Anglicus) (Abb. 3).

Abb. 3: Euricius Cordus (1486-1535); Fur die newe, hievor vnerhorte und erschrocklich todtliche Kranckheyt und schnellen todt, die English schweyee-sucht geant, Strassbourg: 1529, Wellcome library

Die hochinfektiöse pestartige Seuche, die vorwiegend „kräftige Leute im mittleren Lebensalter“ zu befallen schien und an denen Zehntausende starben, breitete sich im 15. und 16. Jh. in fünf Wellen auf Mittel- und Nordeuropa aus. Reisläufer brachten den tödlichen Virus im Winter 1529/30 in die Schweiz.

Heinrich Bullinger beschrieb die „Symptome zu Zürich: „Die Krankheit stiess die Menschen an mit Hits und quält gleich der Pestilenz, in 24 Stunden endet sy zum Leben oder Tod. Dieter verhaftet, schwitzend ungloublich heftig, wahrend geneigt zum Schlaf, man muss sy aber 24 stund nüd schlafen lassen den sy sturbend. Desglychen hät man nie von sömmlicher Sucht gehört.“

Eine belgische Forschergruppe hat sich die wichtigsten Dokumente jener Zeit vorgenommen und legt in der Fachzeitschrift Viruses eine neue Erklärung für deren Epidemiologie und Pathogenese vor. Demnach verursachten Hantaviren (die Übertragung der Virus auf den Menschen erfolgte über Nagetiere wie Mäuse und Ratten) den Englischen Schweiß. Allerdings ist es bisher noch nicht gelungen, aus Gebeinen von sicheren Opfern des Englischen Schweisses mittels DNA-Analysen dessen Erreger nachzuweisen, wie es bei der Pest möglich war. Die Englische Schweisskrankheit, die 1485 als „Emerging Diseas“ unbekannter Ätiologie plötzlich erschien, verschwand 1551 ebenso rätselhaft, wie sie gekommen war, und geriet allmählich in Vergessenheit. Indessen erwähnt Shakespeare die „Englische Schweisskrankheit“ 1603/04 in seiner Komödie „Mass für Mass“: „So bringen mich denn teils der Krieg und teils das Schwitzen und teils der Galgen und teils die Armut um alle meine Kunden. Nun? Was bringst du mir Neues?“, klagt die Kupplerin im Dialog mit Luc und dem ersten Edelmann.

Zwingli kehrte am 19. Oktober 1529, nach über sechswöchiger Abwesenheit und ohne am Virus zu erkranken, wohlbehütet nach Zürich zurück. Am 24. Oktober erschienen die fünfzehn Marburger Artikel in Zürich bei Froschauer im Druck. Am selben Tag, einem Sonntag, bestieg Zwingli die Kanzel des Grossmünsters und erklärte sie dem Volk im Wissen, dass ihr die Lutheraner nie zugestimmt hätten. Zwei Jahre später strebten Zwingli und sein Freund Schmid Seite an Seite am 11. Oktober 1531 in der 2. Schlacht bei Kappel und mit ihnen 35 Küsnachter der Kirchgemeinde. Der Sage nach sei das Pferd, das den Komtur nach Kappel getragen habe, vom Schlachtfeld über den Albis zurückgerannt, gegenüber Küsnacht in den See gesprungen und mit dem Sattel und einem daran hängenden Sack bis an das gegenüberliegende Ufer geschwommen. In Küsnacht stiege es ans Land und lief in die Komturei, wo es in der Folge das Gnadenbrot erhielt. Conrad Ferdinand Meyer verarbeitete die Sage in der stimmungsstarken Ballade der Rappen des Komturs, die 1874 erstmals im Almanach Das Schweizerhaus erschien:

DER RAPPE DES KOMTURS

von Conrad Ferdinand Meyer

Herr Konrad Schmid legt' um die Wehr,

Man führt' ihm seinen Rappen her:

«Den Zwingli lass ich nicht im Stich,

Und kommt ihr mit, so freut es mich.»

Da griffen mit dem Herren wert

Von Küsnacht dreissig frisch zum Schwert:

Mit Mann und Ross im Morgenrot

Stiess ab das kriegbeladne Boot.

Träg schlich der Tag; dann durch die Nacht

Flog Kunde von verlorner Schlacht.

Von drüben rief der Horgnerturm,

Bald stöhnten alle Glocken Sturm,

Und was geblieben war zu Haus,

Das stand am See, lugt' angstvoll aus.

Am Himmel kämpfte lichter Schein

Mit schwarzgeballten Wolkenreihn.

«Hilf Gott, ein Nachtgespenst!» Sie sahn

Es drohend durch die Fluten nahn.

Wo breit des Mondes Silber floss,

Da rang und rauscht' ein mächtig Ross,

Und wilder schnaubt's und näher fuhr's . . .

«Hilf Gott, der Rappe des Komturs!»

Nun trat das Schlachtross festen Grund,

Die bleiche Menge stand im Rund.

Zur Erde starrt' sein Augenstern,

Als sucht' es dort den toten Herrn . . .

Ein Knabe hub dem edlen Tier

Die Mähne lind: «Du blutest hier!»

Die Wunde badete die Flut,

Jetzt überquillt sie neu von Blut,

Und jeder Tropfen schwer und rot

Verkündet eines Mannes Tod.

Die Komturei mit Turm und Chor

Ragt weiss im Mondenglanz empor.

Heim schritt der Rapp das Dorf entlang,

Sein Huf wie über Grüften klang,

Und Alter, Witwe, Kind und Maid

Zog schluchzend nach wie Grabgeleit.